Diese Fragen stellten die Vertreter der Arge Wohlfahrt und des Sozialpolitischen Forums den beiden Experten, Prof. Jürgen Rauh (li.), Leiter der Professur für Sozialgeographie an der Universität Würzburg, sowie Karsten Hager (re.), Geschäftsführer des Instituts Stadt Mobilität Energie in Stuttgart, bei einem Gespräch in Würzburg am 17. Januar d. J.
Das Hintergrundgespräch beschäftigte sich zunächst mit den Herausforderungen und Problemen der Menschen in Bezug auf Mobilität und Wohnraum, um die sich die Wohlfahrtsverbände und –organisationen kümmern.
Dies sind z. B. Menschen mit Handicap, die gerne in einem Inklusionsbetrieb arbeiten würden und könnten, aber dort nicht hinkommen, weil sie weder Führerschein noch Auto besitzen. Das ist der junge Mann, der keine allzu guten Noten hat und sich beim Lernen sehr schwer tut, aber trotzdem bei dem Metzger oder Bäcker auf dem Land eine Chance bekäme, eine Ausbildung zu absolvieren. Ohne Busverbindung kann er die Stelle jedoch nicht antreten.
Das ist die alleinerziehende Mutter, die gerne eine größere Wohnung zu günstigen Preisen für sich und ihre drei Kinder hätte. Die dem Vermieter auf dem Dorf aber die Wohnung trotzdem absagen muss, weil sie nicht noch „Mama-Taxi“ spielen kann, schließlich muss sie arbeiten.
Das ist das Rentnerehepaar, das weder Arzt noch Bäcker erreichen kann. Den Führerschein haben sie abgegeben, als klar war, dass das Seh- und Hörvermögen Autofahren zu gefährlich macht.
Das sind Studenten, die sich die hohen Mieten am Studienort nicht leisten können und deshalb nebenbei arbeiten müssen. Dies wiederum verlängert den Zeitraum des Studiums häufig. Umkreisgemeinden hätten günstigen Wohnraum anzubieten, sind aber nur mit eigenem Pkw zu erreichen. Häufig kann sich ein Studierender aber nur eines von beidem leisten, Auto oder Wohnung.
Menschen in Armut werden in der jetzigen Situation im höchsten Maße benachteiligt.
Die Wohnung in der Stadt können sie sich aus Kostengründen nicht leisten. Leben auf dem Land mit wenig Einkommen heißt aber häufig auch keine soziale Teilhabe. Wer die Kosten für Fahrkarten kaum tragen kann, lässt Kinobesuch oder das Treffen mit Freunden zwangsläufig sein.
Die Liste ließe sich noch endlos weiterführen, klar wird dabei, dass der ÖPNV und die Mobilitätsdebatte nicht nur für den Klimawandel eine wichtige Rolle spielen, sondern die Verkehrswende von zentraler Bedeutung ist, wenn es um die Chancengleichheit der Menschen auf dem flachen Land geht und um soziale Gerechtigkeit für benachteiligte Menschen.
Beide Experten machten deutlich, dass es kein Patentrezept gibt, sondern die Verhältnisse vor Ort, in jeder Region, jeder Stadt, dem Landkreis und dem Bezirk zunächst analysiert werden müssen, um dann gemeinsam mit der Bevölkerung die Ziele zu definieren, die erreicht werden sollen. Die Entscheider vor Ort müssen verstehen, dass die Zeiten der Kirchturmpolitik auch hier längst vorbei sind, Verkehrsverbünde und Umweltverbünde sind notwendig, um den ÖPNV attraktiv zu machen. Auch das wurde in dem Gespräch deutlich. Attraktivität meint neben der Tarifierung, Taktung, große Ringverbünde, einem einheitliches Ticketsystem für verschiedene Verkehrsmittel, eine Mobilitäts-App, und einem Next-Bike-System – auch günstige Preise für die Fahrgäste. Mit der Mitfahrbank oder dem Ruf-Taxi auf der Homepage der Stadt oder Gemeinde alleine ist die Verkehrswende nicht erreicht. Die Gegebenheiten vor Ort sind ausschlaggebend, welche Maßnahmen für die Erreichung der übergeordneten Ziele sinnvoll umgesetzt werden können.
Resümee der Mitglieder der Freien Wohlfahrtspflege nach dem Gespräch:
Die Verkehrswende wird Geld kosten. Das werden die Menschen akzeptieren, wenn die Politik sie bei der Entwicklung der Ziele und der Konzepte mitnimmt. Wenn klar wird, dass Stillstand in dieser Frage nicht nur die Umwelt und unser Klima belasten, sondern soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit für benachteiligte Menschen verhindert.
Hindernisse dorthin sind in der Regel nicht die Menschen, sondern die Entscheidungsträger, die sich oft nur die eigene Lebenswirklichkeit vor Augen halten und vergessen, dass ein eigenes Auto oder eine Fahrerlaubnis nicht für alle Menschen in unserem Land eine Selbstverständlichkeit ist.
Wie stellt sich die Situation in Stadt und Landkreis Würzburg dar? Welche Ziele werden verfolgt und wie weit sind diese auch der Bevölkerung bekannt? Wie kann diese bei den Entwicklungen von Konzepten beteiligt werden, wie kann die Informationspolitik aussehen, damit die Wende gelingt?
Alle diese Fragen sollten Politiker beantworten können, wenn sie Verantwortung übernehmen wollen. Welche Antworten haben Sie darauf?
Ulrike Hahn
Sprecherin der Freien Wohlfahrtspflege Stadt und Landkreis Würzburg